In den letzten Wochen haben wir uns wieder verstärkt mit dem Thema „kink aware professionals“ (KAP) beschäftigt. Hierbei geht es um professionelle Hilfe durch Fachleute wie z.B. Jurist*innen, Rechtsanwält*innen, Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen, Ärzt*innen oder auch andere (nicht) medizinische Berufe, die sich mit Thema BDSM (und Fetische) befasst haben und diesen Personen vorurteilsfrei begegnen. Das bedeutet nicht, dass die Fachleute in der BDSM Szene selbst aktiv sein müssen oder sich öffentlich „outen“ sollen.
Gerade in der BDSM Szene gibt es spezielle Problematiken für die es ein besonderes Verständnis des Sachverhalts oder der psychischen Zusammenhänge bedarf.
Das können bspw. physische oder psychische Verletzung innerhalb einer Session, als Folge der Session oder nicht eingehaltene Absprachen sein. Was ist dabei gewollt, was ungewollt? Vielleicht muss man sich dadurch ungewollt outen, zum BDSM/ Fetisch bekennen. Wie könnte Ärzt*in, Therapeut*in, Rechtsanwält*in oder auch Richter*in mit diesem, immer noch sehr stark in der Öffentlichkeit nicht anerkanntem Thema umgehen?
Damit geht es um die Frage: An wen können hilfesuchende BDSMler*innen/ Fetischist*innen sich vertrauensvoll wenden und wo bekommt er*sie gezieltere Hilfe?
Rechtlich gesehen könnte es bei einer BDSM Session zu Straftaten bzw. Verletzung von Gesetzen (zivil- oder strafrechtlich) kommen. Nicht immer kann die Polizei in jeder Situation qualifiziert und auf das Thema BDSM eingehend helfen. (Das Thema BDSM wird derzeit von den meisten Polizeidienststellen bzw. Bundesländern statistisch nicht erfasst, oft nur die Kernstraftat „behandelt“. Auch werden selten nur Ansprechpartner*innen bei den Polizeidienststellen für das Thema BDSM benannt). Dabei spielt es immer eine Rolle, welche Kontrolle bei der Session/ Beziehungsart der aktive und der passive Part hat. Werden Absprachen, Grenzen, Tabus eingehalten, besteht Konsens? Oder nimmt der aktive Part ein „Nein“ (Safewort/ Ampel) des passiven Parts ernst? Besteht eine Möglichkeit des passiven Parts sich zu äußern? Welche Erfahrungen haben die „Spielenden“ (selbst den erfahrensten Personen können Fehler ungewollt unterlaufen)? Ist diese Spielart/ Praktik (z.B. Spanking) von allen oder nur einer Person gewollt und ab wann nicht mehr? Entstehen dabei Zwänge, Abhängigkeiten, Machtmissbrauch, Vergewaltigungen, ist das „Privatleben“ betroffen, oder wechselt vielleicht die Session/ Beziehungsart in eine risikoreichere Spielweise als geplant und von beiden gewollt?
Der Grundsatz des BDSM ist immer SSC. SSC steht für „safe, sane, consensual“ und bedeutet „sicher, vernünftig, einvernehmlich“. Im BDSM gibt es auch andere Spielweisen/besondere Beziehungsformen, welche riskanter von der Verletzungsgefahr und/ oder der Abhängigkeit sein können. Auch gibt es Fetische/Praktiken, welche besondere Verletzungsgefahren hervorrufen können, wie z.B. beim Bondage/ Shibari (Nervenschäden), Atemkontrolle, Reizstrom oder Spanking (Hämatome) usw.. Um qualifiziert und gezielt als Ärzt*in helfen zu können, wäre es hilfreich, wenn der*die Ärzt*in dem Thema BDSM offen gegenübersteht.
(Hierbei geht es um sich später entwickelnde Verletzungen, nicht um Notfälle. Beim Notfall muss natürlich die 112 etc. gerufen werden bzw. sofortige Hilfe geleistet werden.)
Des Weiteren gilt seit dem 01.01.2022 auch die ICD-11 (11. Internationale Klassifikation von Krankheiten), welche u.a. auch eine Diskriminierung / Stigmatisierung von BDSMler*innen und Fetischist*innen als unvereinbar mit den Menschenrechten ansehen. Somit werden z.B. „F65.5 Störungen der Sexualpräferenz“ in der ICD-11 nur noch dann als pathologisch eingestuft, wenn diese zwanghaft ausgeübt werden, mit bedeutenden gesundheitlichen Schäden, dem Tod einhergehen oder der Ausübende selbst darunter leidet.
Auch geht es darum, dass nicht jede*r Therapeut*in sich mit dem Thema BDSM direkt auskennt. Natürlich ist auch eine Frage, ob die Therapie von einer Krankenkasse übernommen werden kann, und um was es wirklich dabei geht. Wurde vielleicht eine (Spiel)Beziehung/ Partnerschaft „zerstört“, geht es um ein Trauma, sexueller Missbrauch oder ähnlichem?
Für BDSMler*in/ Fetischist*in ist es also schön, wenn er*sie mit der „beruflichen Fachkraft“ vertraulich und offen über das Problem sprechen und um Hilfe bitten kann. Auch kann „Professional“ damit gezielter helfen und Fragen stellen wenn er*sie sich mit dem Thema BDSM auskennt und offen umgeht.
Unser Ziel bei Anfragen von Hilfesuchenden an den Potsdamer Stammtisch ist es, eine zielgerichtete regionale Liste (KAP Liste) von Fachleuten aus unseren näheren Umgebung zur eigenen Auswahl zur Verfügung zu stellen. Dabei wollen wir, wenn nicht ausdrücklich anders gewünscht, die Namen nicht offen auf unserer Linkliste etc. ausstellen. (das hat unter anderem mit DSGVO Vorschriften zu tun)
In Zusammenarbeit mit dem BDSM Berlin e.V. konnten für Berlin viele KAP Fachleute gefunden werden. Auch einige derzeit noch wenige aus dem Potsdamer Raum bzw. nähere Umgebung konnten wir in unsere Sammellisten (KAP Liste) aufnehmen, um sie Hilfesuchenden auf Anfrage zur Verfügung zu stellen.
Ebenfalls können Hilfesuchende auch Hilfsvereine und Verbände in Potsdam und Umgebung ansprechen bzw. um eine allgemeine Hilfe bitten.
Da auch Hilfsvereine und Verbände nur wenig mit dem Thema BDSM offen umgehen (Frage der Fördergelder beispielsweise, da BDSM zumeist auch nicht in offiziellen Statistiken auftaucht, oder Männer offiziell seltener Opfer sein können als Frauen), ist nicht jeder Hilfsverein direkt mit dem Thema BDSM oder Fetische vertraut. Es bestehen aber Kontakte unsererseits zu einzelnen Vereinen/ Verbänden.
Weitere Infos zu dem Thema findet ihr über https://maydaysm.de/, http://sm-outing.de, und für Personen unter 27 Jahren auch über die https://www.smjg.org//
Wer weitere Fragen zu dem Thema hat oder sich gerne ebenfalls auf unsere Listen für das Land Brandenburg, Potsdam oder Berlin setzen lassen will meldet sich über unser Kontaktformular https://bdsm-potsdam.de/p/kontakt_22.html, unserer Email-Adresse oder über die hier möglichen direkten Nachrichtentools.
(In diesem Beitrag geht es nicht darum, jemanden abzuhalten vom „Spielen“, BDSM oder Fetische (er)leben, Neues auszuprobieren. Den BDSMlern sollte halt hierbei klar sein, dass man nebst dem Spaß haben auch verantwortungsvoll mit den vielen möglichen Problematiken umgehen und handeln sollte.
Aber viel wichtiger ist es auch in der Gewaltenteilung (legislative, exekutive, judikative) wie auch im medizinischen Bereich (physisch und psychisch) einen offeneren Umgang hierbei zu finden.
Dadurch trauen sich die betroffenen Hilfesuchenden auch gezielt die Fachleute anzusprechen, welche sich mit dem Thema BDSM / Fetisch auskennen oder halt ein offenes Ohr dafür haben.
Auch gibt es in der recht gut vernetzten BDSM Szene nur sehr wenige Fälle, wo die hier angesprochene Hilfe von Fachleuten notwendig aber halt wünschenswert ist.
Seht euch dazu vielleicht auch unseren Beitrag „Sicherheit im BDSM“ an.